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Kritik an rassifizierenden und diskriminierenden Titeln und Metadaten – Praxisorientierte Lösungsansätze

Published onSep 12, 2022
Kritik an rassifizierenden und diskriminierenden Titeln und Metadaten – Praxisorientierte Lösungsansätze
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Abstract

In den letzten Jahren ist eine Debatte immer stärker in der Öffentlichkeit ausgetragen worden: Wie mit rassistischen Inhalten umgehen? Auch in Bibliotheken, Archiven und Museen muss die Frage gestellt werden, welche Methoden Anwendung finden sollen, um diskriminierende Inhalte nicht weiter zu reproduzieren. Der Beitrag untersucht Methoden im Umgang mit rassifizierendem und diskriminierendem Vokabular sowie den technischen Herausforderungen. Bei dem Versuch praxisorientierte Lösungsansätze zu verhandeln, werden die Bedürfnisse von kuratorischer Verantwortung, Einbeziehung, Nutzung und Bereitstellung diskutiert und in einem Orientierungsleitfaden zusammengeführt.

In recent years, a debate has become increasingly public: How to deal with racist content? Libraries, archives, and museums must also ask what methods should be used to not further reproduce discriminatory content. This paper examines methods of dealing with racializing and discriminatory vocabulary, as well as its technical challenges. In an attempt to negotiate practical solutions, the needs of curatorial responsibility and inclusion are discussed and brought together in an orientation guide.


Einleitung

In den letzten Jahren ist eine Debatte immer stärker in der Öffentlichkeit ausgetragen worden: Wie mit rassistischen Inhalten umgehen? Seien es der Sturz öffentlicher Statuen von Menschenhändlern (BBC News, 2020), bekannte Kinderbücher, die neu aufgelegt werden und eine Revision erfahren (Die Presse, 2010) oder Kunstwerke, deren rassistische Titel in digitalen Datenbanken überarbeitet werden und mithilfe einer Sternchen-Barriere gekennzeichnet sind (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, n.d.) – ein Wandel im Umgang mit diskriminierenden Inhalten ist festzustellen. Auch in Bibliotheken, Archiven und Museen muss die Frage gestellt werden, welche Methoden Anwendung finden sollen, sodass diskriminierende Inhalte nicht weiter reproduziert werden. Gleichzeitig scheint damit aber ein Konflikt mit dem bewährten Selbstverständnis solcher Einrichtungen unausweichlich. Sind doch das Sammeln, Bewahren und Erforschen von Ressourcen darauf ausgelegt, diese zu erhalten und entsprechend der Textautonomie so abzubilden, wie sie sich präsentieren – als Abbild einer Gesellschaft. Oftmals finden auf diesem Weg aber gerade die exklusiven und diskriminierenden Seiten dieser Gesellschaft Eingang in die Welt von Bibliotheken, Archiven und Datenbanken und können hier ohne weiteren Kommentar verwendet werden (siehe unter anderem Kühnl, 2020; Sever, 2020).

Um allgemeine Entwicklungen innerhalb der Kunst, der Kunstinstitutionen wie auch der Ausstellungsgeschichte zu verstehen, sind Archive und Bilddatenbanken von unbestreitbarem intellektuellem Wert. Daher erfordert deren Administration grosse Sorgfalt. Dies betrifft die Auswahl der Einträge wie auch deren Einordnung innerhalb archivarischer Strukturen, sei es durch die Festlegung von Schlagworten oder durch deren Kategorisierung und Hierarchisierung mithilfe etablierter kunsthistorischer Fachbegriffe samt ihres ideologischen Ballasts.

Fallbeispiel: Buchtitel von Carl Einstein

Ausgehend vom Eintrag zu Carl Einsteins (1885-1940) Publikation „N*plastik“ (1915)1 in der Bilddatenbank2 der Universität für angewandte Kunst Wien haben wir uns die Frage gestellt, welcher Umgang im Bezug auf rassistische Begrifflichkeiten gefunden werden kann. Damit einher gingen Überlegungen zur Darstellung bibliographischer Angaben und deren Kontextualisierung. Unsere Arbeitsgruppe würde gerne das N-Wort, wie im Titel jener Publikation, nicht mehr ausschreiben, um einerseits die rassistischen Implikationen und anderseits komplementäre Fiktionen der Überlegenheit weisser (die Kursivschrift hebt hervor das „weiss“ sein eine politische und soziale Konstruktion ist) Menschen nicht weiter fortzuschreiben.3 Wir setzen uns aus Vertreter*innen unterschiedlicher Arbeitsbereiche innerhalb des Bibliotheks- und Universitätsbetriebs zusammen und möchten in diesem Beitrag, der im Rahmen der Veranstaltung „Critical Library Perspectives“ entstanden ist, anhand des Fallbeispiels der Publikation von Carl Einstein (1915) eine der vielen Leerstellen der Anwendung von diskriminierungssensiblen Praktiken im Querschnitt von wissenschaftlichen Datenbank- und Bibliothekssystemen untersuchen. Weiter sollen die Bedürfnisse von kuratorischer Verantwortung, Einbeziehung, Nutzung und Bereitstellung verhandelt und in einem Orientierungsleitfaden zusammengeführt werden. Der Versuch verfolgt das Ziel, geeignetes Vokabular und Prozesse einer entsprechenden Bearbeitung zu diskutieren.

Bei der Fragestellung, wie Bibliothekssysteme, Bilddatenbanken und museale Sammlungsbestände mit der Repräsentation beziehungsweise Reproduktion problematischer Begrifflichkeiten umgehen, ist es wichtig, sich zunächst einen Überblick über den Status Quo zu verschaffen. In einem ersten Schritt werden daher stichprobenartig Bestände nach der bereits erwähnten Publikation Carl Einsteins durchsucht.

Bibliotheken

Im Österreichischen Bibliothekenverbund (88 Bibliotheken) gibt es mehrere Ergebnisse. In allen wird der Publikationstitel ohne weitere Informationen, Eingriffe oder sonstige Kenn- oder Warnhinweise ausgeschrieben. Die verwendeten Schlagworte beschränken sich auf: Plastik, Subsaharisches Afrika, Einstein, Carl, 1885-1940, Bildband und Geschichte. Die gleiche Suche ergibt ähnliche Ergebnisse in den deutschen Verbünden hbz, GBV, kobv, SWB und BVB.

Eine ähnliche Verschlagwortung weist auch die Gemeinsame Normdatei (GND) im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek auf. Der Eintrag der Erstveröffentlichung von 1915 wird nur durch die folgende Aussage weiter beschrieben: „Kunstkritische Abhandlung über die Geschichte der Plastik in Schwarzafrika, 1915“4; und eine neue Ausgabe von 2012 ist wie bereits erwähnt verschlagwortet. Lediglich über den Schlagwortdatensatz „Subsaharisches Afrika“ wird der Begriff als Geographikum, nicht als ethnische Zuschreibung ausgewiesen, allerdings ist vermerkt, dass es sich bei „Schwarzafrika“ um eine „(veraltete Bezeichnung)“ handelt.5 Die gleichen Ergebnisse zeigen sich in der National Library of South Africa, der British Library, der Bibliothèque National de France, der New York Public Library und der Library of Congress (LC Subject Heading: Sculpture, Africa, Dewey no. 730.96 [(Sculpture & related arts. History, geographic treatment, biography of sculpture & related arts together]).

Diese in zahlreichen Beständen gleichlautenden oder sehr ähnlichen Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass eine weiterführende Kontextualisierung der Datensätze bisher nicht zum Standardrepertoire von Bibliotheken gehört.

US-amerikanische Bibliotheken bieten zusätzlich zu ihren Bestandskatalogen jedoch oftmals auch die Option, diskriminierungssensible Inhalte zu melden. Bei der Harvard Library gibt es die Möglichkeit, „offensive terms“ im Katalog aufzuzeigen.6 Auf den Websites der Library of Congress7, der University of Washington Libraries8 oder der Drexel University Library9 finden sich beispielsweise Disclaimer, Warnhinweise und Informationen zu weiterführender Literatur. Dieser Umstand stellt eine begrüssenswerte Entwicklung dar, die im deutschsprachigen Raum Vorbildcharakter haben könnte.

Bilddatenbanken

Die Suche nach Einsteins Publikation in unterschiedlichen Bilddatenbanken (Prometheus10, Unidam DAMS für Forschung und Lehre11 und dem Carl-Einstein-Archiv der Akademie der Künste12, Image13) führt zu ähnlichen Ergebnissen: Neben der Tatsache, dass es zahlreiche Ergebnisse zum N-Wort gibt, fehlt in den meisten Fällen eine weitere Kontextualisierung. Nennenswerte Ausnahmen: Bei zwei über Prometheus abrufbaren Institutionen wird der Titel in „Afrikanische Kleinplastik“ (ConedaKOR, Universität des Saarlandes) und „Afrikanische Plastik“ beziehungsweise „Afrikanische Skulptur“ (DadaWeb, Universität zu Köln) umbenannt.14

Museen

Als letzten Schritt haben wir die Bestände von ausgewählten Museen gesichtet und dabei auch den Fokus erweitert, indem hier der allgemeine Umgang mit rassistischen Inhalten jenseits der Publikation Einsteins untersucht wurde.

Das Gemälde „Ziegeln*“ (1981) des Künstlers Georg Herold in der digitalen Sammlungspräsentation des Städel Museums in Frankfurt am Main zeigt einen weissen Mob, der einen schwarzen Menschen jagt und mit einem Ziegelstein bewirft. Das Museum verteidigt das Gemälde explizit als ein „anti-rassistisches Werk“ und führt als ein Argument die künstlerische Freiheit an.15 Mira Anneli Naß stellt jedoch fest, dass es dem Museum misslinge, „das Thema Rassismus in der Kunst in seiner Sammlungspräsentation für Gegenwartskunst differenziert und vor allem mehrstimmig zu diskursivieren“ (Naß, 2020). Die Kuratorin Mahret Ifeoma Kupka fragt angesichts des Umgangs des Städel Museums mit dem Gemälde, für wen solche Sammlungspräsentationen gemacht seien, „[...] wenn die wenigen dargestellten schwarzen Körper, denen ich im Museum begegne, alle Opfer rassistischer Gewalt sind“ (Naß, 2020).

Die Staatliche Kunstsammlung Dresden verwendet Asterisken in ihrer Online-Sammlung zur Ausblendung diskriminierender Begriffe. Die mit „Asterisken versehenen Begriffe werden nicht gelöscht, sondern erst nach der bewussten Überwindung der Sternchen-Barriere angezeigt. Mit einem Mausklick öffnet sich ein Feld, das dieses Vorgehen erklärt und die Möglichkeit eröffnet, sich den Begriff anzeigen zu lassen“ (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 2021).

In den Wandtexten der Ausstellung „Whose Expression? Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext“ im Brücke-Museum werden rassistische Begriffe auf den Kopf gestellt, was laut Kuratorin Lisa Marei Schmidt „Verständnis sichert, aber zum Nachdenken anregt“ (Zeit Online, 2022).

Das Rijksmuseum in Amsterdam durchleuchtete vor wenigen Jahren seinen gesamten Bestand nach rassistischen und entmenschlichenden Begriffen aus der niederländischen Kolonialgeschichte. In der Folge wurde beispielsweise der Titel von Jan Mostaerts „Porträt eines M*“ (1525–1530) in „Porträt eines afrikanischen Mannes“ geändert.16 Im Sprengel Museum Hannover wurde Hans Purrmanns Titel „Stillleben mit N*Plastik“ (1929) umgeändert in „Stillleben mit Ananas und persischer Kachel“.17

Ansätze des Umgangs mit diskriminierenden Begriffen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Titelkontextualisierung

Ein allgemeines Statement auf der Startseite kann auf diskriminatorische Inhalte hinweisen. Damit wird auch Transparenz in Bezug auf Lücken und Versäumnisse der Institutionen verdeutlicht. Ebenfalls finden sich Informationen zu Strategien und Zielen, um diese Inhalte aufzuarbeiten. Daneben kann es auch einen Aufruf zu Feedback geben. Bei einzelnen Datensätzen wird der jeweilige Inhalt durch eine entsprechende Kontextualisierung thematisch erweitert, wobei die Qualität dieser umfassenderen Einordnung sehr unterschiedlich ausfallen kann. Anhand der oben genannten Beispiele wird deutlich, dass zur Zeit vor allem englischsprachige Bibliotheken mit Disclaimern auf die Verwendung problematischer Begriffe hinweisen und weiterführende Informationen bereitstellen.

Titelverfremdung

In Abweichung von der konventionellen Darstellungsweise werden Titel auf den Kopf gestellt, durchgestrichen, gespiegelt. Als eine weitere Möglichkeit der Verfremdung ist die Sternchen-Barriere zu nennen, in der die einzelnen Buchstaben durch Asterisken maskiert werden. Allgemein kann festgehalten werden, dass der Titel anders als im Regelfall dargestellt wird.

Titeländerung

Hier muss zwischen Werken der (bildenden und angewandten) Kunst und der Literatur unterschieden werden. Während in der Literatur Titeländerungen in der Regel nur durch die Autor*innen durchführbar sind, trifft das in der Kunst erst mit dem Beginn der neuzeitlichen Moderne zu und folgt bislang auch keinem strikten Schema.

Sind seit dem Einsetzen der druckgrafischen Reproduktionsstiche ab dem 16. Jahrhundert Werkbezeichnung und Werk physisch zusammengeführt worden, kann daraus nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich um einen von den Künstler*innen selbst gewählten Titel handelt. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass erst durch die Entstehung von Reproduktionsstichen die Notwendigkeit aufkam, dem Hauptwerk einen Namen zu geben, und eine Betitelung vorgenommen wurde. (Kim, 2015, pp. 111-113) Dabei wurde oftmals auf zuvor verwendete Bezeichnungen zurückgegriffen, sei es aus einfachen Beschreibungen der Darstellungsinhalte in Inventarbüchern oder aus Auftragsvorgaben durch die Auftraggeber*innen, einen bestimmten Darstellungsinhalt zu produzieren. (Kim, 2015, p. 54)

Dass bildende Künstler*innen ihren Werken eigene Titel geben, hat seinen Ursprung erst im modernen Ausstellungswesen. Durch dessen Regelmässigkeit und teils umfangreiche Ausmasse wurden Wandbeschriftungen und Ausstellungskataloge notwendig. (Kim, 2015, p. 117) Durch diese wiederum sahen sich Künstler*innen gezwungen, ihren Werken eigene Titel zu geben. Doch eröffnete ihnen dieser Umstand nach und nach auch die Möglichkeit, mit den Betrachtenden auf einer weiteren Ebene, neben dem eigentlichen Werk, zu kommunizieren. (Kim, 2015, p. 123) Erst so wurde der Titel integraler Bestandteil des Werks. Der Titel spielte nun auch eine sozioökonomische Rolle, da ansprechende Titel den Marktwert von Werken steigern können. Daher wurde der Kunstmarkt ein wichtiger Einflussfaktor bei der Vergabe von Titeln.

Die Vorstellung, dass ein Werk nur einen Titel hat, ist historisch gewachsen und beschreibt keinen ontologischen Zustand. Die Staatliche Kunstsammlung Dresden führt dazu aus: „Stattdessen wurden Werke je nach Wissensstand und Perspektive immer wieder neu aus dem Handel oder Sammlerbeständen heraus sowie von Museumsfachleuten beschrieben und betitelt, und bedürfen, je nach Forschungsstand, der wissenschaftlichen Kontextualisierung.“ (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 2021)

Fazit der Bestandsaufnahme

Bibliotheken, Bilddatenbanken und Museen stellen im Umgang mit Metadaten unterschiedliche kulturelle Ansprüche und verwalten nicht zuletzt deshalb auch ihre Bestände auf verschiedene Weise. Während Bibliotheken stark reglementierte Institutionen sind und die Katalogisierung ihrer Bestände umfassenden Regelwerken (RDA) als auch der Auflage unterliegt, ihre Ressourcen wertneutral zu administrieren (IFLA, 2012), haben Museen weniger Auflagen in der Erfassung ihrer Sammlungen – und so auch mehr Möglichkeiten, auf Missstände in der Repräsentation ihrer Bestände zu reagieren. (ICOM – Internationaler Museumsrat, 2010) Bei Bilddatenbanken herrschen vor allem bibliothekarische Erschliessungspraktiken vor, sie können aber zwischen den beiden Polen, die Bibliotheken und Museen darstellen, verortet werden.

Der strenge bibliothekarische Standard kann zwar zu mehr gesichertem Datenaustausch zwischen Institutionen führen, zeigt aber auch, dass sensible Inhalte keine weitere Überprüfung erfahren und einfach übernommen werden. Wiewohl es Bestrebungen in bibliothekarischen Systematiken (zum Beispiel RVK) und Normdateien (zum Beispiel GND) gibt, diskriminierende Strukturen und Begrifflichkeiten zu entfernen, erfolgen die Veränderungen nur sehr schleppend. Museen verwenden in den meisten Fällen dieselben Standards (Dublin Core), unterliegen aber nicht so strengen Regulativen, da der institutionelle Austausch zwischen Museen nicht im Fokus ihrer Arbeit liegt. Dadurch besitzen Museen eine grössere Flexibilität im Umgang mit ihren Daten. Museen können daher mit diskriminierungssensiblen Darstellungsformen Möglichkeiten einer weiterführenden Kontextualisierung auch für Bibliotheken aufzeigen. Dabei scheint die Vereinbarkeit von Regelwerksanforderungen und Flexibilität zentral, neben dem allgemeinen Anspruch, gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen.

Ein Bereich, in dem eine allgemeine Kontextualisierung von solchen Inhalten möglich ist, ist die Präsentation der Bestände in Online Sammlungen.

Technische Umsetzbarkeit

In der Regel befinden sich nicht nur ein einziger oder ein paar wenige rassifizierende und/oder diskriminierende Betitelungen im Datenbestand einer Institution. Insofern ist die Frage nach technischer Unterstützung im Umgang mit der Darstellung jener Betitelungen, den Metadaten und Verschlagwortungen innerhalb von digitalen Infrastrukturen naheliegend. Die Nutzung von übergeordneten, kontextualisierten Schlagworten bietet zwar den Vorteil, Informationen „generell“ in eine Datenbank einzuflechten, ohne jeden einzelnen Katalogeintrag zu bearbeiten, erfordert aber auch die Bestimmung von Schlagworten, welche problematische (Titel- oder beschreibende) Begriffe nicht erneut reproduzieren, die Bereitstellung von Informationen aber gleichwohl gewährleisten. Bei der Übernahme von Datensätzen aus anderen Datenbanken, bibliothekarischen Katalogen oder sonstigen Datenmanagementsystemen können über Normalisierungs-Prozesse mehrere Metadatensätze in einem Arbeitsschritt bearbeitet werden. Bei der Umsetzung wird dazu im Vorfeld eine Liste mit den zu tauschenden Wortstämmen erstellt und zu diesen jeweils Synonyme zum Austausch für die gewünschte Anzeige hinterlegt, die rassifizierendes und diskriminierendes Vokabular nicht reproduzieren. Diese finden nun in ein regelbasiertes Skript Eingang, welches entsprechende Wortstämme in sämtlichen Datensätzen tauscht und diese zur weiteren Bearbeitung beziehungsweise Freigabe vormerkt.

Bezogen auf Carl Einsteins Publikation würde der Begriff im Titel dann beispielsweise mit dem Synonym „N*“ als Hauptbegriff dargestellt, dieser aber im Hintergrund mit dem ursprünglichen Titel verknüpft bleiben, um die Auffindbarkeit der unter dem ursprünglichen Titel bekannten Ressource weiterhin zu gewährleisten. Das Skript sollte so verfasst werden, dass jeder Datensatz nach dem ersten Schritt der automatisierten Bearbeitung nur über einen zweiten manuellen Bestätigungsschritt wieder in die Abfrage freigegeben und in der lokalen Datenbank abgespeichert werden kann. Der zweite Schritt der manuellen Bearbeitung gewährleistet zum einen die Kontrolle und Korrektur der neu gesetzten Daten und eine Nachbearbeitung von falsch positiven Datensätzen aus der automatisierten Bearbeitung, die hierüber zurückgesetzt werden können. So wird verhindert, dass über das Skript automatisiert Syntaxfehler entstehen. Innerhalb des Skripts wird der zu tauschende Wortstamm beziehungsweise Begriff in ein in den Abfrageergebnissen zwar suchbares aber nicht sichtbares Feld verschoben und bleibt im Hintergrund für eine Suchabfrage verfügbar. Im Grunde kann so auch mit Begriffen in den Feldern der Sacherschliessung oder der Klassifikation verfahren werden. Im Anschluss muss die Suchfunktion um jene relevanten Felder, in denen die ursprünglichen Titel und Begrifflichkeiten nicht sichtbar hinterlegt sind, erweitert werden. Innerhalb mancher Suchfunktionen wird die Suche mit dem Asterisk als Platzhalter angeboten. Dies wirft die Frage auf, ob durch die Darstellung des N-Wortes mit dem Asterisk Konflikte mit der Suchfunktion entstehen können.18

Das Verfassen eines Skripts zum Austausch von rassifizierendem und diskriminierendem Vokabulars ist ein, bezogen auf das jeweilige Repositorium und dessen Struktur, spezifischer Prozess. Diesem müssen eine Analyse des eigenen Bestands, eine Diskussion zur erwünschten und vertretbaren Darstellung sowie eine Prüfung der Metadatenstruktur der exportierenden Repositorien vorausgehen. Je nach der Struktur der Metadatenfelder in der eigenen Sammlung und der Ressource, aus welcher importiert wird, müssen für den Austausch von Metadaten die Felder im Normalisierungsprozess entsprechend gemappt werden.

Die Darstellung von Begrifflichkeiten ist jedoch nur ein erster Schritt im Umgang mit strukturell verwendeten diskriminierenden Termini und Titeln. Die Frage nach den Umgang mit Werktiteln, Schlagwörtern et cetera lässt sich nicht ohne den Blick auf strukturellen Rassismus in Institutionen (wie beispielsweise an Hochschulen, Museen oder Bibliotheken) verstehen. In Folge dieses strukturellen Defizits mangelt es vielen Institutionen beispielsweise an der Sichtbarkeit von Schwarzen Wissenschaftler*innen und deren theoretischen Perspektiven. Zwar gibt es in der deutschsprachigen Forschungslandschaft Ansätze, die Afrikanistik zu reformieren und postkoloniale Ansätze einzubringen, allerdings existieren „Black Studies“19 bisher nicht als ein eigenständiger Studiengang an Universitäten. Dort würde sich jene Expertise bündeln, die auch für den adäquaten Umgang mit problematischen Werktiteln notwendig wäre. Um diesen strukturellen Mangel zu überbrücken, schlagen wir im nächsten Abschnitt die Zusammenarbeit mit anti-rassistischen Initiativen vor.

Lösungsansätze: Die epistemischen Partner*innen

In archivarischen Erschliessungskontexten können inklusive beziehungsweise diversitätssensible Sprach- und Katalogisierungsguidelines Orientierungshilfen im Umgang mit problematischen Termini anbieten und auch Alternativbezeichnungen vorschlagen. Diese Guidelines sind ein wichtiges Werkzeug, einschränkend ist aber zu erwähnen, dass solche selbstkritischen Guidelines weder vollständig noch abschliessend sein können, da Sprache und damit Wörter, Bezeichnungen, Kategorien und Normen einem ständigen Wandel unterliegen, wie auch die Gesellschaften, die sie nutzen. Manche der Guidelines wie „Words Matter: An Unfinished Guide to Word Choices in the Cultural Sector“ (Modest & Lelijveld, 2018) des Nationalen Museums für Weltkulturen in den Niederlanden nutzt beispielsweise das N-Wort, um es zu historisieren und zu problematisieren. Eine solche Arbeitsweise ermöglicht es, die ideologische Entwicklung einer Sprache nachzuvollziehen und zu dokumentieren. (Drabinski, 2013) Zugleich birgt die Wiederholung der Wörter für die betroffenen Personengruppen aber die Gefahr, Erlebnisse und Erinnerungen der Rassifizierung und Dehumanisierung zu reaktivieren und somit auch traumatische Erlebnisse zu repetieren.

Die anti-rassistische Arbeit an den Bezeichnungen berührt weitere Aspekte. In ihnen zeigen sich strukturelle Defizite wie der institutionalisierte Rassismus in den Archiven der Museen, Akademien oder Bibliotheken. Der Mangel an personaler und fachlicher Diversität, eine monoperspektivische Sicht des Globalen Nordens beispielsweise auf die Kunstgeschichte, lassen problematische Wörter unerkannt und reproduzieren sie mit den Technologien der Bilddatenbank.

Solche defizitären Strukturen machen es erforderlich, dass sich Archive für eine anti-rassistische Expertise von Communities öffnen, partizipative beziehungsweise kollaborative Modelle entwerfen und zu Arbeits- und Kommunikationsmodi finden, die auch das strukturelle Machtgefälle zwischen staatlichen Institutionen und selbstorganisierten anti-rassistischen Initiativen mit all ihren Effekten benennen und angehen können. Marisa Elena Duarte und Miranda Belarde-Lewis prägten hierfür die Formulierung „epistemic partners“ (Duarte & Belarde-Lewis, 2015, p. 686). Im Idealfall lernen Archive in diesen Arbeitszusammenhängen, ihre angenommene Wissenshoheit sowie auch die damit einhergehende Selbstautorisierung von Fremdbezeichnungen und -zuschreibungen im Kontrast zur Selbstrepräsentation der entsprechenden Communities kritisch zu hinterfragen. (Strickert, 2021, p. 5)

Beispiele einer solchen Arbeit führt Natalie Bayer anhand ihrer eigenen Tätigkeit im Münchner Stadtmuseum aus. Im Artikel „Über das Reparieren hinaus. Eine antirassistische Praxeologie des Kuratierens“ legt sie ihre Überlegungen dar. Sie entschied sich für eine kuratorische Praxis, die „den bedingungslosen Einbezug der bislang verunsichtbarten Beteiligten“ (Bayer & Terkessidis, 2017, p. 67) ermöglichte. Ausgangspunkt ihrer konzeptuellen Überlegungen war das Wissen von Hinterbliebenen der NSU-Morde in München, wie den Familien von Theodoros Boulgarides und Habil Kılıç. Bayer spricht hierbei von einem „kollaborativen Kuratieren“, das den Fokus vom Endprodukt, also einem Objekt, einem Display oder einer Ausstellung, hin zu dessen Entstehungsweisen verschiebt. Der erste kuratorische Schritt bestand darin, mit den Angehörigen in persönlichen Kontakt zu treten, ihr Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen ernst zu nehmen und dies Gegenstand der Aushandlung der Ausstellungsinhalte und Arbeitsweise werden zu lassen. Für das Museum bedeutete Kollaboration dabei, entgegen den gängigen Museumsabläufen nicht nur das Wissen der Beschädigten zu übernehmen, sondern sie in die Entwicklung des Displays zu involvieren, sie unter anderem über die Inhalte und Exponate entscheiden zu lassen. Bayer resümiert: „Die Angehörigen der Ermordeten nahmen dabei fast wie andere Museumsmitarbeiter*innen eine Position als Aushandlungsinstanz ein […].“ (Bayer & Terkessidis, 2017, p. 68) Diese Form der Kollaboration, gibt Bayer zu bedenken, darf allerdings nicht die Ungleichheit von Sprecher*innenschaft innerhalb eines institutionellen Gefüges übergehen, die bestehen bleibt, „solange kein chancengleicher Zugang zu sozialen, kulturellen und ökonomischen Ressourcen möglich ist“ (Bayer & Terkessidis, 2017, p. 69). Dennoch stellt für sie die „Multiperspektivität“ eine wichtige Etappe einer „Umprogrammierung“ des Museums durch antirassistisches Kuratieren dar. Wie in der Gesellschaft, besteht auch im Museum das Ziel des Antirassismus darin, „die Architektur des Regierens und Machtverhältnisse zu verändern“ (Bayer & Terkessidis, 2017, p. 69).

Um dem institutionellen Rassismus entgegenzuwirken, bedarf es struktureller Veränderung, die ebenso strukturelle Handlungen erfordert, die sich nicht ausschliesslich „durch Gesetze, Standardisierungen [und] Leitfäden“ (Ogette, 2022, p. 219) ergeben, hebt Tupoka Ogette hervor, eine Schwarze deutsche Antirassismustrainerin. Handeln findet zugleich auf individueller Ebene statt. Einzelne Personen verfügen über die Möglichkeit, in ihrer professionellen Umgebung ein Bewusstsein für antirassistische Perspektiven zu bilden, so Ogette, denn „Institutionen bestehen immer aus Individuen, die sie prägen“ (Ogette, 2022, p. 219).

Oft wird bewusst eine vielfältige Personalstruktur angestrebt, jedoch greifen die Bemühungen der Institutionen um mehr Diversität in den Personalstrukturen häufig nicht. Ein Grund dafür kann beispielsweise die fehlende Auseinandersetzung der Personen an den entsprechenden Institutionen damit sein, dass sie rassistisches Denken und Handeln internalisiert haben. Als Folge muss sich die Zielgruppe der Diversitätsprogramme oft nicht nur einer rassistischen Wissensreproduktion stellen, sondern auch einem Arbeitsort, der aufgrund von fehlenden antirassistischen Praktiken der Mitarbeitenden die tägliche Gefahr von Mikroaggressionen gegen von Rassismus betroffene Personen mit sich bringen kann. (Kelly, 2021)

Aufgrund einer fehlenden Diversität in den Institutionen können unbeabsichtigt die Belange von Schwarzen Menschen/BIPoC übergangen werden. Die Schwarze Wissenschaftlerin Natasha A. Kelly gibt zu bedenken, dass sowohl „Wissenskonzepte als auch Wissenschaft selbst, untrennbar mit weisser Vorherrschaft und rassistischer Autorität verbunden“ (Kelly, 2021, p. 51) sind. Infolgedessen sollten antirassistische Überlegungen von weissen Menschen den Fokus auf die Publikationen von Schwarzen Wissenschaftler*innen sowie das Rezipieren von widerständischen und aktivistischen Schriften legen.

Für die angestrebte Zusammenarbeit mit den Communities auf „Augenhöhe“ wäre ein Nachdenken darüber entscheidend, welche Voraussetzungen ein Wissensaustausch auf ebendieser mit sich bringen würde. Denn wer auf einen Austausch mit Schwarzen Menschen/BIPoC für die Dekolonialisierung von Institutionen setzt, so Kelly, unterstützt die Forderung nach „eine(r) Institutionalisierung von Schwarzen Studien und einer Reform der Antirassismusforschung“. Ein Wissenstransfer und echte Teilhabe wäre möglich, wenn aus institutioneller Schwarzer Perspektive „Wissensproduktionen und Handlungsoptionen“ in die Institutionen eingearbeitet werden könnten. (Kelly, 2021, p. 48)

Anhand des folgenden Fragebogens ist eine Reflexion möglich, inwiefern diskriminierungssensible Praktiken in der eigenen Institution Anwendung finden. Für die praktische Umsetzung in Kulturerbe-Einrichtungen ist ein Fragebogen20, wie er für den Kulturbereich entwickelt wurde, mit einer Fokussierung auf Rassismus vorstellbar.

Handreichung für Mitarbeitende der jeweiligen Institution (Ogette, 2022, p. 220) (Auszug)

  • Gibt es in deinem Team/deiner Institution ein gemeinsames Verständnis über Begriffe wie Othering, Racial Stress, Rassismus?

  • Gibt es eine Diskussion darüber, welche Rolle Privilegien und Machtverhältnisse im Alltag der Institution/im Team spielen?

  • Gibt es schwarze Menschen/BIPoC auch auf höherer Entscheidungsebene?

  • Gibt es eine Diskussion und ein Verständnis über die Wirkmächtigkeit von White Fragility und deren Auswirkungen?

  • Gibt es für betroffene BIPoC regelmässige Möglichkeiten, sich über ihre Rassismuserfahrungen auszutauschen, sich gemeinsam Handlungsoptionen zu überlegen?

  • Gibt es regelmässig Raum und Ressourcen für alle, um sich über rassismuskritische Themen auszutauschen?

Auswahl an möglichen epistemischen Partner*innen im deutschsprachigen Raum

Für die Vernetzung mit den entsprechenden Ansprechpartner*innen folgt eine Liste mit den Kontaktdaten. Wir plädieren für eine finanzielle Entlohnung bei einer Zusammenarbeit mit den entsprechenden Menschen aus den Communities. Im Entstehungsprozess des Beitrags hat sich in unserer Diskussion herausgestellt, wie wichtig eine Entlohnung der Akteur*innen aus den Communities ist. Das Wissen und die Erfahrungen aus den Communities sollten nicht unentgeltlich genutzt werden.

Deutschland:

Österreich:

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