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Profiteure von Open Access außerhalb der Wissenschaft oder: Warum ist Open Access auch als Arbeitsfeld für öffentliche Bibliotheken interessant?

Published onJun 21, 2022
Profiteure von Open Access außerhalb der Wissenschaft oder: Warum ist Open Access auch als Arbeitsfeld für öffentliche Bibliotheken interessant?
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Abstract

„Open Access“ wird in erster Linie als Arbeitsfeld von wissenschaftlichen Bibliotheken verstanden, da die ersten Definitionen – wie zum Beispiel die der Budapester Open Access Initiative – auf wissenschaftliche, begutachtete Literatur abzielen. Spätestens mit dem Aufkommen der Aktivitäten zu Open Science und der Übertragung der Öffnung auf den gesamten Forschungskreislauf einschließlich der Einbeziehung von Akteursgruppen außerhalb der Wissenschaft (Stichwort: „Citizen Science“) wird immer stärker deutlich, dass der Kreis derjenigen, die unter anderem von Open Access profitieren, nicht allein nur in der Forschung und in angrenzenden Bereichen zu finden sind.
Der Beitrag zeigt die wesentlichen Akteure auf, die auch außerhalb der Wissenschaft von einer freien Zugänglichkeit zu wissenschaftlicher Literatur profitieren. Im Anschluss werden mögliche Arbeitsfelder reflektiert und erste Diskussionsimpulse gegeben, inwieweit „Open Access“ auch ein Arbeitsfeld für öffentliche Bibliotheken sein kann.

Since the first definitions of open access like the one of the Budapest Open Access Initiative mainly addressed scholarly peer review literature, the topic is considered as working field of research libraries. With the advent of practises related to open science and the transfer of the concept of openness to the whole research cycle including the consideration of stakeholder groups outside of academia (e.g. within citizen science) it becomes clear that those who profit from open access can not only be found in research and related areas.
The contribution will give an overview on which stakeholder groups outside academia profit from the free access to scholarly literature. Subsequently, it will reflect on potential fields of work and will give impulses to discuss to what extent open access can be a field for public libraries.


1. Von Open Access zu Open Science

„Open Access“ wird in erster Linie als Arbeitsfeld von wissenschaftlichen Bibliotheken verstanden, da die ersten Definitionen – wie zum Beispiel die der Budapester Open Access Initiative – auf wissenschaftliche, begutachtete Literatur abzielen. Hier heißt es (Chan, Cuplinskas, Eisen et al. 2002):

[…] The literature that should be freely accessible online is that which scholars give to the world without expectation of payment. Primarily, this category encompasses their peer-reviewed journal articles, but it also includes any unreviewed preprints that they might wish to put online for comment or to alert colleagues to important research findings […].

Wissenschaftliche Bibliotheken haben in der Folge eine Reihe von Dienstleistungen und Beratungsangebote rund um Open Access entwickelt, um ihre Forschenden bei der Publikation im Open Access bestmöglich zu unterstützen. Hierzu zählen auch Infrastrukturen wie Repositorien für die Zweitveröffentlichung von bereits erschienenen Publikationen auf dem Grünen Weg des Open Access, Unterstützung auf dem Goldenen Weg des Open Access bei der Neugründung und dem Hosting von Open-Access-Zeitschriften sowie die Finanzierung von Publikationsgebühren durch die Einrichtung von Publikationsfonds.

Der in der Definition oben benannte Fokus auf Literatur aus wissenschaftlichen Zeitschriften sowie Preprints wurde in den Folgejahren deutlich verbreitert und schließt längst die Open-Access-Veröffentlichung von Monographien und Sammelbänden, aber auch Lehrmaterialien (Open Educational Resources – OER) mit ein. Unter dem Schlagwort „Open Science“ wird zudem diskutiert, dass möglichst breit auch einzelne Arbeitsergebnisse wie Anträge, Methodik, Forschungsdaten, Software und Code etc. publiziert und damit zugänglich gemacht werden (Schmitz 2020).

Spätestens mit dem Aufkommen der Aktivitäten zu Open Science –einschließlich der Einbeziehung von Akteursgruppen außerhalb der Wissenschaft (Stichwort: Bürgerwissenschaften, engl. „Citizen Science“) wird immer stärker deutlich, dass der Kreis derjenigen, die von Open Access profitieren, nicht allein nur in der Forschung und in angrenzenden Bereichen zu finden sind. So heißt es in der Definition der UNESCO-Empfehlung zu Open Science:

[…] open science is defined as an inclusive construct that combines various movements and practices aiming to make multilingual scientific knowledge openly available, accessible and reusable for everyone, to increase scientific collaborations and sharing of information for the benefits of science and society, and to open the processes of scientific knowledge creation, evaluation and communication to societal actors beyond the traditional scientific community. (UNESCO 2021, S. 7)

Neben dem offenen Zugang der Forschungserkenntnisse und ihrer zugrundeliegenden Daten ist daher auch die Ermöglichung ihrer Weiterverbreitung von hoher Wichtigkeit, um den Erkenntnisaustausch zu ermöglichen und zu beschleunigen.

2. Gründe, warum Forschungsergebnisse auch außerhalb der Wissenschaft zur Verfügung stehen sollten

Dass Forschungsergebnisse auch außerhalb der Wissenschaft der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen sollten, wird meist damit begründet, dass Forschung durch öffentliche Mittel finanziert wird. In ihrem Buch „Plan S for Shock“ bezeichnen Smits und Pells (2022, S. 5) den Verschluss von steuerfinanzierten wissenschaftlichen Ergebnissen hinter Paywalls als „[…] an injustice that continues to fuel the fire of campaigners“. Man könnte es auch so formulieren: Durch die Verwendung von Steuergeldern gehen die Forschungsergebnisse die Öffentlichkeit unmittelbar etwas an. Eine Demokratisierung von Wissen unabhängig vom Einkommen sollte daher selbstverständlich sein (Bauer, Blechl, Bock et al. 2015, S. 2).

Akteursgruppen außerhalb der Wissenschaft profitieren durch Open Access darüber hinaus aus folgenden Gründen:

  • Kostenfreier Online-Zugang zu wissenschaftlicher Literatur: Während Mitglieder einer Hochschule oder Forschungseinrichtung von den durch die jeweilige Einrichtung erworbenen Zugängen profitieren, steht diese Möglichkeit der Öffentlichkeit nur eingeschränkt zur Verfügung. Zwar besteht die Möglichkeit, Artikel kostenpflichtig zu erwerben, allerdings sind die Kosten mit 30-40 Euro pro Artikel sehr hoch. Zudem ergibt sich die Schwierigkeit, dass anhand des Abstracts abgeschätzt werden muss, ob der Artikel für die eigene Fragestellung relevant ist und somit die Gefahr besteht, dass das Geld umsonst eingesetzt wird. Zwar gibt es Möglichkeiten, über Fachbibliotheken vor Ort oder über Fernleihe, E-Mail an die Verfasser:in etc. die Artikel anderweitig und kostengünstiger zu beschaffen, aber hier fehlt es an Wissen und Aufklärung, zudem sind diese Beschaffungswege oft mit anderen Hürden wie z.B. zeitliche Verzögerungen verbunden.

  • Open Access bedeutet auch elektronischer Online-Zugriff. Gerade in Pandemiezeiten, in denen Bibliotheken etc. geschlossen sind, bei Personenkreisen, die dauerhaft ans Haus gebunden sind, oder die Bibliothek weit entfernt ist, bietet dies einen Vorteil (Smits und Pells 2022, S. 24).

  • Der freie Zugriff wird zudem mit einer Zunahme an Austausch zwischen Forschung und Innovation assoziiert. Der 2012 in Großbritannien veröffentlichte Finch Report (Finch, Bell, Bellingan 2013) sieht darin auch ein Mittel, das wirtschaftliche Wachstum zu steigern und die öffentlichen Dienstleistungen zu verbessern.

3. Mögliche relevante Akteursgruppen außerhalb der Wissenschaft mit Bedarf an wissenschaftlichen Informationen

Nachfolgend soll dargestellt werden, welche gesellschaftlichen Gruppen insbesondere von der freien Zugänglichkeit profitieren. Viele Positionspapiere zu Open Access und Open Science bleiben an dieser Stelle oftmals vage. Die UNESCO-Definition formuliert es so (UNESCO 2021, S. 13-14):

[…], open science provides the basis for citizen and community involvement in the generation of knowledge and for an enhanced dialogue between scientists, policymakers and practitioners, entrepreneurs and community members, giving all stakeholders a voice in developing research that is compatible with their concerns, needs and aspirations.

Diese Beschreibung soll im Folgenden weiter konkretisiert werden. Die Liste ist nicht abschließend gemeint, zudem kann es Überlappungen geben, wenn gleichzeitig unterschiedliche Rollen eingenommen werden, die, jede für sich, Bedarf an wissenschaftlichen Informationen hat. Die Auflistung soll lediglich verdeutlichen, dass es auch außerhalb des akademischen Betriebs einen Bedarf an wissenschaftlichen Informationen gibt:

  • Berufspraktiker:innen wie z.B. niedergelassene Ärzt:innen: Dass Ärzt:innen auf aktuelle Fachinformationen zu ihrem Arbeitsgebiet angewiesen sind, liegt auf der Hand. Durch eine schnelle Beschaffung der benötigten Informationen verspricht man sich eine Verbesserung der Behandlungsqualität und des -prozesses sowie ein Gewinn an Zeit, die wiederum für die Behandlung der Patient:innen aufgewendet werden kann (Koch und Kaltenborn 2005; Bauer, Blechl, Bock et al. 2015, S. 2).

  • Journalist:innen: Zwar werden Wissenschaftsjournalist:innen auch durch Verlage mit Fachpublikationen proaktiv versorgt (Kiernan 1997), allerdings trifft dies nicht auf alle Journalist:innen und alle Recherchekontexte zu. Da Journalist:innen komplexe Sachverhalte für eine breitere Öffentlichkeit aufbereiten, sind sie auf verlässliche Informationen angewiesen, deren Beschaffung und Bewertung wiederum eine Herausforderung ist (Mast 2020). Zugang zu diesem Informationen geht somit einher mit einem besseren Informationsangebot für die Gesellschaft (Bauer, Blechl, Bock et al. 2015, S. 2), insbesondere auch durch die Möglichkeit, im Text auf frei verfügbare Originalstudien zu verlinken (Dobusch und Heimstädter 2021).

  • Laienforschende zum Beispiel in Heimat- oder Naturschutzvereinen: Die Beteiligung von an der Forschung interessierten Laien wird zunehmend unter dem Schlagwort „Citizen Science“ bzw. „Bürgerwissenschaften“ auch im Rahmen von Open Science diskutiert, professionalisiert und beforscht1, ist aber kein neues Phänomen. Auch in diesem Kontext werden wissenschaftliche Hintergrundinformationen benötigt, um (Be)funde etc. richtig einordnen zu können.

  • Patient:innenvereinigungen und Selbsthilfegruppen, Personen mit seltenen Krankheiten oder uneindeutiger Diagnose: Während Patient:innen bei gut erforschten Krankheiten sich häufig zusammenschließen und wissenschaftliche Informationen selbst als Informationsmaterial aufbereiten, sind Patient:innen von sogenannten „seltenen Krankheiten“ häufig darauf angewiesen, eigenständig Informationen zu suchen und aktuelle Forschungsergebnisse zu ihren jeweiligen Krankheiten zu finden. Hierbei handelt es sich um Krankheitsbilder, die bei weniger als bei fünf von 10.000 Menschen auftreten. In Deutschland sind etwa vier Millionen Menschen betroffen, in der Europäischen Union 30 Millionen2. Aufgrund der (noch) fehlenden Behandlungsmöglichkeiten und durch wissenschaftliche Studien erprobte Medikation, betreiben die Betroffenen und ihre Angehörigen oftmals selbst Recherchen, um mehr über die Krankheit und Behandlungsoptionen zu erfahren. Ähnliches gilt für Personen mit einer uneindeutigen Diagnose3. Weitreichendere Forderungen gehen dahin, dass alle Menschen ein Recht auf Zugang zu Informationen haben, die ihre Gesundheit betreffen (EbM-Netzwerk 2020).

  • Lehrer:innen und Schüler:innen: Für Lehrende gilt Ähnliches wie für die Wissenschaftsjournalist:innen. Sie müssen stets aktuell bleiben und ihr Unterrichtsmaterial an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse anpassen. Schüler:innen sollen bereits in frühen Jahren auf die Notwendigkeit des gemeinsamen Diskutierens und des Vertreten des eigenen Standpunktes vorbereitet werden. Unumgänglich ist dafür der Erwerb der eigenen Informationskompetenz, mit Recherche und der Beurteilung der vorhandenen Quellen. Zudem müssen sie Referate und Facharbeiten erstellen, die den neuesten Stand der Forschung wiedergeben. Beide genannten Zielgruppen benötigen entsprechend auch Zugang zu der aktuellsten Forschungsliteratur. Nicht in allen Schulen ist der Anschluss an städtische oder gar Universitätsbibliotheken gegeben, so dass der offene Zugang auch für diese Zielgruppe von größter Wichtigkeit ist.

  • Weitere Lehrende an öffentlichen Einrichtungen: Der Verwendung von wissenschaftlichen Publikationen sind Grenzen gesetzt. Ist der Zugang zwar im Allgemeinen (bei entsprechender finanzieller Ausstattung) möglich, unterliegt die Weiterverbreitung gewissen Hürden. Für Unterricht und Lehre werden durch die Schrankenregelungen im Urheberrecht diese zwar erweitert (so können beispielsweise Semesterapparate eingerichtet werden), doch unterliegen die verwendeten Materialien oftmals außerhalb dieses geschützten Raumes rechtlichen Einschränkungen, so dass die Materialien nicht öffentlich zugänglich gemacht werden können. Bessere Zugänglichkeit und Verbreitungsmöglichkeiten von Unterrichtsmaterialien, die wissenschaftliche Ergebnisse enthalten, erlauben eine bestmögliche Unterrichtsgestaltung nach aktuellem Wissensstand (Bauer, Blechl, Bock et al. 2015, S. 2).

  • Lehrende an nicht-öffentlichen oder privaten Einrichtungen: Oftmals ist eine Beschränkung der Forschungserkenntnisse beispielsweise auf die Nutzung ausschließlich in nicht-kommerziellen Kontexten gegeben. Im Sinne der Öffentlichkeit ist es aber, dass auch andere Angebote der (Weiter)Bildung davon profitieren.

  • Bibliothekar:innen: Ein wichtiges Arbeitsfeld der Bibliothekar:innen ist die Informationsvermittlung, sei es in wissenschaftlichen oder öffentlichen Bibliotheken. Die Etats sind aber begrenzt, so dass immer nur ein bestimmter Anteil an Publikationen erworben werden kann. Umso breiter die Bibliotheken aufgestellt sind, umso schwieriger wird es, die benötigte Literatur umfassend zur Verfügung zu stellen. Hier greift der Gedanke des Open Access.

  • „Die Öffentlichkeit“ per se: Interesse an Wissenschaft und entsprechenden Publikationen kann auch aus anderen Motiven heraus begründet werden und muss dabei auch nicht immer einen speziellen Zweck verfolgen oder durch ein „persönliches Betroffensein“ heraus hervorgerufen werden. Ein Interesse daran, mehr über die Hintergründe zu erfahren oder zu verstehen, wie Dinge funktionieren, eine informierte Entscheidung zu treffen oder auch in Austausch mit anderen zu treten, können ebenfalls Motivation sein. Beispiel hierfür: Das „community biology lab“ Genspace in New York bietet die Möglichkeit, sich niedrigschwellig mit lebenswissenschaftlichen Themen und Biotechnologie auseinanderzusetzen und auszutauschen4. Teilnahme an Wettbewerben wie „Jugend forscht“5 oder solche, die im Bereich „Open Innovation“6 angesiedelt sind, können ebenfalls Motivation sein und setzen eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Informationen voraus.

Eine Befragung zur Nutzung von Springer Nature Publikationen in den Niederlanden gibt Aufschluss darauf, welche Gruppen außerhalb des akademischen Betriebs Open-Access-Publikationen bereits nutzen (Wirsching, Penny, Lucraft et al. 2020, S. 17-18). Diese wurden unterteilt in solche Nutzenden, die wissenschaftliche Publikationen beruflich nutzen, die selbst aber nicht wissenschaftlich tätig sind, z.B. Hausärzt:innen, Therapeut:innen, Informationsspezialist:innen in Unternehmen, Forschende im Ruhestand, sowie solche, die sich keiner bestimmten Gruppe zuordnen lassen und deshalb als „general“ bezeichnet wurden. Hierzu zählen unter anderem freiberuflich Lehrende und Coachende, Referent:innen, Anwält:innen, Mitarbeitende in NGOs, pflegende Angehörige und Pflegepersonal. Über 60% der Befragten aus diesen Nutzer:innengruppen haben Schwierigkeiten, Volltexte zu beschaffen. Während die erste Gruppe meist noch alternative Strategien zur Verfügung hat, um doch noch an die Volltexte zu kommen (Beschaffung über Kolleg:innen, E-Mail an Autor:innen, Kauf), gibt die zweite Nutzer:innengruppe oft nach einer Google-Suche auf oder versucht, vergleichbare Texte zu beschaffen (Wirsching, Penny, Lucraft et al. 2020, S. 19-20). Im Gegensatz zu der Suche nach zitierbarem Material im akademischen Kontext, steht bei den Nutzer:innengruppen das persönliche Informationsbedürfnis sowie das Teilen oder die Weitergabe von Informationen im Fokus. Gerade letzteres wird mit Open Access erleichtert.

4. Diskussion: Warum ist das Thema „Open Access“ auch für Öffentliche Bibliotheken interessant und was sind mögliche Arbeitsfelder?

Für wissenschaftliche Bibliotheken ist die Beschäftigung mit Open Access nahezu zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die sich neben der Beratung zumeist auf die Bereitstellung von Open-Access-Publikations- und Finanzierungsmöglichkeiten fokussieren (Schmitz 2021). Diese Maßnahmen werden als Ergänzung zu klassischen Erwerbungsstrategien gesehen. Vereinfacht dargestellt, werden hier Mittel für die Erwerbung umgeschichtet, um Publikationsgebühren oder andere Open-Access-Modelle zu finanzieren und darüber dann den Zugang für die eigene Institution und darüber hinaus zu gewährleisten (Rösch 2019).

Die Frage ist allerdings, inwieweit hier auch „societal actors beyond the traditional scientific community“ wie es in der UNESCO-Definition heißt (UNESCO 2021, S. 7) – also solche, die in erster Linie nicht publizierend tätig sind und somit eher an dem Zugang zur Open-Access-Literatur interessiert sind – erreicht werden können oder ob nicht auch Unterstützung bei der Ansprache dieser Akteursgruppen nötig wäre. Dass Open Access als Teil einer Versorgungsstrategie (siehe z.B. Müller und Rebholz-Schuhmann 2019) in den letzten Jahren auch als Teil der Bestandsentwicklung berücksichtigt – und damit auch katalogisiert und kuratiert wird – ist ein erster Ansatz, um die Zuständigkeit der Informationsversorgung für einen Teil dieser Akteursgruppen, wie Berufspraktiker:innen wie z.B. Ärzt:innen (Dierbach 2020) anzuerkennen. Die Ausführungen oben haben allerdings gezeigt, dass die Gruppe, die Bedarf an dem Zugang zu wissenschaftlichen Informationen außerhalb des wissenschaftlichen Betriebs hat, deutlich diverser ist und nicht immer über Strategien verfügt, Bezahlschranken zu überwinden und Volltexte außerhalb eines Campus zu beschaffen.

Die Frage, die zu diskutieren ist, ist also, ob Open Access auch ein Arbeitsgebiet für öffentliche Bibliotheken sein kann bzw. sein sollte. Dabei ist nicht daran gedacht, das Arbeitsgebiet von den wissenschaftlichen Bibliotheken auf die öffentlichen Bibliotheken zu verlagern, sondern neue Wege zu gehen, die die Vorteile des Open Access weiteren Gruppen zugänglich machen. Pauschal formuliert stellen öffentliche Bibliotheken „freien Zugang zu Informationen“ bereit und leisten mit ihrer Arbeit einen Beitrag zu den Kernthemen Bildung, soziale und digitale Inklusion und Demokratisierung, die europaweit bearbeitet werden (Kish, Thominet, Zignan 2021, S. 5). Durch den kostenfreien Online-Zugang zu wissenschaftlichen Informationen über Open Access bietet sich hier eine (alternative) Zugangsdimension. Der vorliegende Beitrag schlägt daher das Engagement von öffentlichen Bibliotheken in diesem Bereich anhand dreier unterschiedlicher Perspektiven vor:

  1. der bewussten Aufnahme von Open-Access-Literatur in den Bestand:
    Wie oben ausgeführt, sind oftmals insbesondere Schüler:innen (und Lehrer:innen) darauf angewiesen, für Referate und Facharbeiten sowie für die Unterrichtsvorbereitungen generell, auf aktuelle Forschungsliteratur zuzugreifen. Doch nicht immer sind Universitätsbibliotheken vor Ort. Die Aufnahme von Open-Access-Literatur in den Bestand erfordert keine zusätzlichen finanziellen Kosten, erspart aber weite Anfahrts- oder Bestellwege. Zudem wird damit ein sofortiger Zugriff auf wichtige und aktuelle Literatur gewährleistet, als auch durch Kuratierung die Einordnung in den fachlichen Kontext vereinfacht.
    Dies sollte keinesfalls bedeuten, dass jegliche Open-Access-Literatur erworben wird, sondern eine entsprechende Ausrichtung an den jeweiligen Bedarf der Zielgruppen geschieht und sich der „Erwerb“ in das Bestandskonzept einfügt.

  2. der Bewusstseinsbildung als Multiplikator:innen; hierzu gehören die Punkte:

    • Vermittlung des Konzepts von Open Access als eine Möglichkeit des Zugangs zu wissenschaftlicher Literatur.

    • Vermittlung von Recherchemöglichkeiten und Zugangswege bei Publikationen, die ausschließlich oder zusätzlich im Open Access zur Verfügung stehen (z.B. Recherche über frei verfügbare Datenbanken wie z.B. BASE7, Dimensions8 oder PubMed Central9, Zugang über die Webseiten der Verlage oder mittels Repositorien).

    • Informieren über alternative Zugangswege bei Closed-Access-Content (z.B. über Repositorien, Websites der Verfasser:in, E-Mail an die Verfasser:in – neben der Bestellung über Fernleihe oder Bezug über eine Fachbibliothek).

  3. Anwendung von Open Science durch Maker Spaces:
    Öffentliche Bibliotheken haben schon seit Jahren ihre Räume für sogenannte Maker Spaces geöffnet10 und bieten unterschiedlichste Veranstaltungen in diesem Rahmen an. Gerade im Bereich Citizen Science können gemeinsam mit den Bibliotheksnutzenden, Forschenden und Bibliothekar:innen neue Projekte ins Leben gerufen werden. Die Forschungserkenntnisse können ihrerseits dann wieder als Open Access einem breiten Publikum zur Verfügung gestellt werden.

Alle drei Punkte können durch entsprechende Aus- und Fortbildung begleitet werden, die unter anderem folgende Themen umfassen sollte:

  • (Recherche)Ansätze für das gezielte Auffinden von Artikelversionen im Open Access,

  • Grundsätze des Open Access und von Open Science,

  • Aufnahme von Open-Access-Literatur als frei verfügbare Literatur im Katalog,

  • Projektmanagement mit Blick auf Citizen-Science-Vorhaben,

  • Sichtbarmachung von elektronischer Literatur im Bestand.

In allen der drei oben beschriebenen Richtungen ist aus Sicht der Autorinnen eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken wünschenswert. Beide Bibliothekstypen können mit ihrer jeweiligen Ausrichtung gerade im Feld Open Access/Open Science voneinander lernen und profitieren; nicht zuletzt im Sinne ihrer Nutzenden, die oftmals in mehreren Bereichen agieren.


Zu den Autorinnen

Dr. Jasmin Schmitz hat an der Universität Düsseldorf im Fach Informationswissenschaft promoviert. Sie hat zudem als Datenbanktrainerin gearbeitet sowie als Projektkoordinatorin in einem außeruniversitären Forschungsinstitut. Bei ZB MED ist sie seit 2014 zuständig für die Publikationsberatung.

Prof. Dr. Ursula Arning hat ihr Diplom für Öffentliche Bibliotheken an der FH Stuttgart erworben. Nach verschiedenen beruflichen Stationen u.a. Leitung der Bibliothek am Goethe-Institut Córdoba/Argentinien leitet sie seit 2013 den Programmbereich Open Science bei ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften und ist seit 2020 Professorin für Open Access und Management digitaler Ressourcen an der TH Köln.

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