Bibliotheken bieten zunehmend neue Dienstleistungen und Produkte an, um den sich wandelnden Bedürfnissen ihrer Nutzer*innen gerecht zu werden. In privatwirtschaftlichen Unternehmen hat sich zum Management einer Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen das strategische Mittel des Produktportfolio-Managements durchgesetzt. In Bibliotheken ist dieser Ansatz der Steuerung weitaus seltener anzutreffen. Dies ist keineswegs darauf zurückzuführen, dass Bibliotheken administrative und keine gewinnorientierten Einrichtungen sind. Ganz im Gegenteil: mit wenigen Anpassungen am Grundmodell eines Produktportfolios kann sich das Tool auch in Bibliotheken als vielversprechendes Mittel zur strategischen Verwaltung erweisen.
Dieser Artikel erläutert, wie die Erarbeitung und Einführung eines gemeinsamen Produktportfolios an der Universitätsbibliothek und der Zentralbibliothek Zürich den Pfad für eine produktorientierte, und damit dienstleistungs- und kundenorientierte, strategische Zusammenarbeit geebnet haben. Der Beitrag bietet einen Einblick in den Prozess der Entwicklung und den Einsatz des Produktportfolios: wie es zu Stande kam, wie es Konsequenzen von Entscheidungen kalkulierbar machte und wie damit Produkte entlang der Strategie weiterentwickelt werden konnten.
Es soll gezeigt werden, wie durch die Anwendung von Methoden aus der Betriebswirtschaft auf den Bibliotheksbereich neue Wege im Management von Bibliotheken beschritten werden können. Die Implementierung eines Produktportfolios kann der modernen Bibliothek dabei helfen, ihre Position in der Gesellschaft zu stärken und sich als zukunftsorientierte, dynamische Einrichtungen zu positionieren.
Stichworte: Bibliotheksmanagement, Produktportfolio, Portfolioanalyse, strategische Steuerung, Nutzerorientierung
Libraries are increasingly offering new services and products to meet the changing needs of their users. In private enterprises, the strategic tool of product portfolio management has become established for managing a variety of products and services. In libraries, this approach to management is far less common. This is by no means due to the fact that libraries are administrative and non-profit organizations. On the contrary, with a few adjustments to the basic model of a product portfolio, the tool can also prove to be a promising means of strategic management in libraries.
This article explains how the development and introduction of a joint product portfolio at the University Library and the Central Library of Zurich paved the way for a product-oriented, and therefore service- and customer-oriented, strategic collaboration. The article provides an insight into the process of developing and deploying the product portfolio: how it came about, how it made the consequences of decisions calculable, and how products could be further developed along the strategy.
It aims to show how the application of methods from business administration to the library sector can open up new avenues in library management. The implementation of a product portfolio can help modern libraries strengthen their position in society and position themselves as forward-looking, dynamic institutions.
Keywords: Library management, product portfolio, portfolio analysis, strategic management, user orientation
Die Universitätsbibliothek (UB) und die Zentralbibliothek (ZB) Zürich sind die grössten bibliothekarischen Institutionen im Kanton Zürich. Seit einem politischen Entscheid aus dem Jahr 2020 sind die beiden Institutionen angehalten, sich organisatorisch zu vernetzten und aufs Engste zusammenzuarbeiten. Trotzdem sind UB und ZB zwei eigenständige Organisationen mit eigenen Trägerschaften, unterschiedlichen – aber sich überschneidenden – Aufträgen, sowie abweichenden Organisations- und Governancestrukturen. Die ZB, gegründet 1914, ist eine öffentlich-rechtliche Stiftung. Sie dient als Kantons-, Stadt- und Universitätsbibliothek. Die UB hingegen ist Teil der Universität Zürich (UZH) und vereint seit 2022 alle ehemaligen Instituts- und Fakultätsbibliotheken unter einem Dach. Während die ZB einen klaren Auftrag für Serviceleistungen gegenüber der Universität und der Öffentlichkeit hat, stehen bei der UB vor allem die UZH-Angehörigen (Studierende, Dozierende, Forschende) im Zentrum. Die Herausforderungen, die aus einer solchen Konstellation entstehen, sind vielseitig und betreffen sowohl die tägliche Erbringung von einzelnen Dienstleistungen als auch die strategische Entwicklung der Institutionen ganz allgemein.
Um diese Herausforderungen anzugehen, entschieden sich die UB und die ZB im Jahr 2022, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Institutionen besser fassbar zu machen. Ein effektives Mittel dazu war die Erstellung eines umfassenden Produktportfolios, basierend auf der McKinsey-Matrix. Durch die systematische Bewertung der Stärken und Schwächen von Produkten, sowie der Erfassung der dafür verwendeten Ressourcen wurde klar, welche Potenziale vorhanden sind und wo es Überschneidungen oder unnötige Aufwände zu verzeichnen gibt. Durch die Anwendung der Produktportfolio-Methode wurde die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gestärkt, und es wurden erste Schritte getätigt, von aussen als ein bibliothekarisches Gesamtsystem wahrgenommen zu werden. Dies stärkte die Position beider Institutionen und trug dazu bei, die Bibliotheken von Zürich als koordinierte und benutzerorientierte Einrichtungen zu positionieren.
Die Produktportfolio-Methode, auch bekannt als Portfolio-Analyse, ist ein strategisches Managementwerkzeug, das Unternehmen dabei unterstützt, ihre Produkte oder Produktfelder zu bewerten und strategische Entscheidungen zu treffen. Ziel dieser Methode ist es, anhand des Produktportfolio die Produkte der eigenen Institution zu steuern, um langfristiges Wachstum und Rentabilität sicherzustellen.
Im bibliothekarischen Umfeld mag es zunächst ungewöhnlich erscheinen, von Produkten zu sprechen, da Bibliotheken ihre Leistungen in der Regel nicht verkaufen. In der Betriebswirtschaftslehre hat sich jedoch schon lange etabliert, dass unter Produkten auch Dienstleistungen verstanden werden können. Ein Produkt ist in diesem Sinne jedes Objekt oder jede Dienstleistung, die auf einem Markt angeboten wird, ein Kundenbedürfnis erfüllt und den Nachfragenden Nutzen stiftet.1 Dabei ist es wichtig zu beachten, dass Produkte in diesem Sinn stets Endprodukte bezeichnen, also abgeschlossene, kundenorientierten Services. Diese stehen im Gegensatz zu Vorprodukten oder internen Produkten, die als Vorleistung zur Produkterstellung dienen. Im bibliothekarischen Umfeld wären dies beispielsweise die Medienerwerbung oder die Bestandsrevision. Die Trennung von Produkt und Vorprodukt ist wichtig, da sie den Blick auf den eigentlichen Endnutzen einer jeden Dienstleistung fokussiert, und Leistungen, die an sich noch keine Kundschaft haben und kein Kundenbedürfnis befriedigen, nicht überbewertet.
Gerade in Unternehmen mit einer Vielzahl von Produkten hat sich die Produktportfolio-Methode als ein zentrales Management-Tool erwiesen. (Siehe zum Beispiel Grimm, Schuller, & Wilhelmer, 2014; Lombriser & Abplanalp, 2024) Beispiele für Strukturierung eines Produktportfolios gibt es viele, aber eine der meistanerkannten ist das Portfolio basierend auf der McKinsey-Matrix. Die McKinsey-Matrix teilt Produktgruppen als Kreise mit Bezug zu zwei Achsen ein. Die zwei Achsen bezeichnen zum einen den relativen Wettbewerbsvorteil (x-Achse) und zum anderen die Marktattraktivität (y-Achse). Die Marktattraktivität umfasst nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen und Faktoren des Marktes, wie Marktgrösse und Wachstum, Wettbewerbssituation, Marktstabilität, Verfügbarkeit alternativer Angebote oder regulatorische Anforderungen. Diese Faktoren sind entscheidend für die Beurteilung der Chancen und Risiken, die ein Markt bietet. Der relative Wettbewerbsvorteil hingegen stellt die eigene Ausgangslage im Vergleich zur Konkurrenz beziehungsweise zu anderen Mitbewerbern dar. Er umfasst interne Faktoren wie die Stärke der eigenen Marke, technologische Fähigkeiten, Kompetenzen und Know-how, Exklusivität des Produkts, Marktanteil oder Kundenbindung. Der relative Wettbewerbsvorteil gibt Aufschluss darüber, wie gut ein Unternehmen im Vergleich zu seinen Wettbewerbern positioniert ist und welche Stärken es ausspielen kann, um sich am Markt durchzusetzen. Als dritten Wert zeichnet die McKinsey-Matrix oft noch den Gewinn der einzelnen Produkte beziehungsweise Produktgruppen aus, und zwar durch die Grösse der Punkte in der Matrix: je grösser die Punkte, desto höher der damit assoziierte Wert.
Die Vorteile der Aufschlüsselung von Produktfeldern in einer McKinsey-Matrix sind vielfältig. Die Methode schafft Klarheit über den aktuellen Produktstand, indem sie eine Übersicht über alle Produkte liefert. Dabei berücksichtigt die Analyse Kundenbedürfnisse und hilft, deren Entwicklung visuell zu verfolgen. Zusätzlich ermöglicht sie die Beobachtung der Umfeldentwicklung und das frühzeitige Erkennen von Substitutionsgefahren. Die Methode unterstützt auch die Priorisierung von Produkten und den effizienten Einsatz der personellen und finanziellen Ressourcen. Dafür macht die Matrix sogenannte Standardempfehlungen. Anhand von neun Quadranten schlägt die McKinsey-Analyse vor, wie bei Produktfeldern im jeweiligen Quadranten vorgegangen werden soll: von Desinvestition bis hin zu Aus- und Aufbau.
In anderen Worten, durch die Analyse von Marktattraktivität, relativem Wettbewerbsvorteil und erzieltem Gewinn können Unternehmen fundierte Entscheidungen treffen, welche Produkte oder Geschäftsfelder weiterentwickelt, beibehalten oder aufgegeben werden sollten beziehungsweise um welche Produkte oder Geschäftsfelder das Portfolio ergänzt werden sollte.
Auch Bibliotheken können die Methode nutzen, um ihre Produkte strategisch zu bewerten, zu planen und weiterzuentwickeln. Sie hilft dabei, fundierte Entscheidungen zu treffen und die strategische Ausrichtung zu optimieren. Angesichts der knapper werdenden Ressourcen ist es für Bibliotheken entscheidend, ihre Mittel gezielt und im Einklang mit den Veränderungen im Umfeld und den Anforderungen des Wettbewerbs einzusetzen. Eine strategische Weiterentwicklung des Portfolios, die auf einer fundierten Analyse basiert, kann hierbei helfen, auch schwierige Entscheidungen wie die Re-Allokation von Mitteln und Reorganisationen besser zu rechtfertigen und umzusetzen. An dieser Stelle muss jedoch angemerkt werden, dass die Normempfehlungen der McKinsey-Matrix nicht im gleichen Sinne auf Non-Profit-Organisationen angewendet werden können, wie auf wirtschaftliche Unternehmen. Gerade Bibliotheken, welche auch Grundaufträge zu erfüllen haben, können und sollten nicht desinvestieren oder abschöpfen, nur weil Marktattraktivität und Kundennutzen bei Kernprodukten eher tief bewertet werden. Hier gilt klar, dass die ‘Überstülpung’ eines theoretischen Modells ohne die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände nicht zielführend ist. Auch die Grösse der Punkte basierend auf Gewinn macht in der Anwendung im bibliothekarischen Umfeld wenig Sinn. Hier ist es nötig, alternative, aussagekräftige Werte für die Grösse der Punkte zu bestimmen.
Im Folgenden wird nun die Erarbeitung der McKinsey-Matrix für die UB und ZB beschrieben. Dabei wird auch immer auf die Abweichungen vom modelhaften Vorgehen hingewiesen.
Die Entwicklung des gemeinsamen Produktportfolios von UB und ZB erfolgte in mehreren aufeinanderfolgenden Schritten:2
Definition der gemeinsamen Produktstruktur
Ermittlung der Ist-Ressourcenbindung pro Produktgruppe
Festlegung der Bewertungskriterien für die Produkte bezüglich Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke
Bewertungsprozess
Erstellung und Visualisierung des Produktportfolios
Ein wesentliches Fundament des Produktportfolios ist eine klar definierte und aussagekräftige Produktstruktur. Die Struktur unterteilt alle Endprodukte in Produktgruppen und Produktfelder. Verwandte Produkte und solche, die auf gleiche oder ähnliche Kundenbedürfnisse abzielen gehören zu Produktgruppen zusammengefasst. Diese Produktgruppen wiederum können dann zu grösseren Produktfeldern zusammengezogen werden. Produktfelder sind dabei als Aktivitätsbereiche definiert, die von den bearbeiteten Kundenbedürfnissen beziehungsweise von den genutzten Schlüsselressourcen her eine hohe Autonomie gegenüber anderen Produktfeldern aufweisen. Die Zuordnung der Produkte in Produktgruppen und Produktfelder ist notwendig, um das Produktportfolio übersichtlich zu gestalten. Dies ermöglicht die Vergleichbarkeit der Produkte untereinander und macht übergeordnete Zusammenhänge sichtbar.
Da für UB und ZB noch keine gemeinsame Produktstruktur vorlag, musste diese zunächst erarbeitet werden. Im ersten Schritt wurde eine grobe Produktstruktur erstellt, die in mehreren weiteren Schritten iterativ verfeinert wurde. Hierfür wurde der Business Model Canvas verwendet. (Osterwalder & Pigneur, 2011) Ziel der Anwendung des Canvas war es, das durch das Produktfeld generierte Wertangebot, die wichtigsten Kundensegmente und -beziehungen, Kommunikationskanäle, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselressourcen und Schlüsselpartner zu analysieren: und zwar ausgehend von den Kundenbedürfnissen und nicht der traditionellen Logik des bibliothekarischen Prozesses folgend. Ebenso wurden die wichtigsten Kosten- und Ertragsquellen pro Produktfeld identifiziert.
Die mit Hilfe des Canvas validierte Produktfeldstruktur wurde in einem iterativen, zwischen UB und ZB abgestimmten Prozess, mit den jeweiligen Führungskräften und weiteren Wissensträgern (zum Beispiel Produktverantwortlichen) validiert und finalisiert. Daraus resultierte schliesslich die gemeinsame Produktstruktur von UB und ZB mit 10 Produktfeldern und insgesamt 22 Produktgruppen.
Auf der Basis der Produktstruktur wurden die Personalressourcen und Sachmittel pro Produktgruppe bestimmt. Die Ressourcenbindung beziehungsweise die Kosten wurden mit vertretbarem Aufwand annäherungsweise festgelegt. Es wurde entschieden, diese Mittelverteilung als Grösse der Punkte in der McKinsey-Matrix anzunehmen. Dies ist eine Abweichung von der Standardpraxis, in welcher, wie bereits erwähnt, üblicherweise Erfolgskennzahlen wie Umsatz oder Gewinn verwendet werden. Da jedoch keine einheitlichen Nutzungs- und Zugriffszahlen verfügbar waren, wurden die Ressourcenbindung beziehungsweise die Kosten pro Produkt als Ersatzgrösse verwendet.
Diese Anpassung bedeutete, dass im Produktportfolio der UB und ZB grössere Kreise eine höhere Ressourcenbindung und damit höhere Kosten darstellten. Daher wurden grössere Kreise eher als negative Indikatoren betrachtet, da sie eine höhere Belastung der verfügbaren Ressourcen anzeigen und möglicherweise eine geringere Effizienz oder Wirtschaftlichkeit ausdrücken. Diese Visualisierung ermöglichte es, jene Produktgruppen zu identifizieren, die eine überproportional hohe Menge an Ressourcen binden, und gezielt Massnahmen zur Optimierung und effizienteren Ressourcennutzung zu entwickeln.
In diesem Schritt ging es darum, die Faktoren festzulegen, die zur Bewertung der Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke herangezogen werden sollten. Neben allgemeinen Aspekten wie Zielgruppe, Marktsituation und alternativen Anbietern wurden spezifische Kriterien für diese Bewertung entwickelt. Um ein möglichst differenziertes Bild erhalten, wurde jede der beiden Dimensionen anhand von drei Kriterien bewertet. Für die Bewertung der Marktattraktivität wurden Kriterien herangezogen, die auf die Entwicklung von Nachfrage (Marktwachstum), alternativen Angeboten beziehungsweise Ersatzprodukten (Substitution) und Anzahl Konkurrenten/Wettbewerber fokussieren. Für die Einschätzung der Wettbewerbsstärke wurden Kriterien zu Mehrwert/Produktqualität, Marktanteil und Exklusivität/Alleinstellung berücksichtigt. Die Bewertung erfolgte auf einer 5-stufigen ordinalen Skala, wobei keine unterschiedliche Gewichtung der Kriterien vorgenommen wurde.
Da Themen wie Produktmanagement beziehungsweise Produktportfolio bislang für die UB und die ZB Neuland darstellten, standen Konkurrenzvergleiche, Analysen zu Kundenstruktur, Kundenbedürfnissen oder Kundenzufriedenheit sowie die Analyse relevanter Umfeldentwicklungen üblicherweise nicht auf der Tagesordnung der Bibliotheksmitarbeitenden. Entsprechende Daten wurden nur vereinzelt, aber nicht systematisch erhoben. Zudem wurde klar, wie stark die Organisationsstrukturen bibliothekarischen (Teil-)Prozessen folgen und nicht der Produktlogik, was dazu führt, dass die Verantwortlichkeiten für ein Produkt verteilt sind und das Know-how vieler Personen zusammengetragen werden musste, um ein umfassendes Bild (im Sinne einer belastbaren Bewertung) für die einzelnen Produkte zu erhalten. Vor diesem Hintergrund wurde festgelegt, dass der Erhebung der produktrelevanten Informationen eine breite Information der betreffenden Mitarbeitenden vorangehen soll, um diesen zunächst Ziel und Zweck des Themas näherzubringen.
Die Bewertung selbst erfolgte in Form von strukturierten Interviews auf Ebene der Produktgruppen. Der Interviewleitfaden (Produkt-Factsheet) wurde allen Interview-Teilnehmenden vorab zur Verfügung gestellt. Interviewt wurden alle Personen, die in irgendeiner Form an der Erstellung des jeweiligen Produkts beteiligt sind. Insgesamt wurden 45 Interviews mit 53 verschiedenen Personen geführt. Die Gespräche wurden für die spätere Auswertung im Interviewleitfaden schriftlich dokumentiert. Damit wurden eine äusserst wertvolle strategische Analysearbeit sowie eine solide Grundlage für den Aufbau und die Weiterentwicklung eines systematischen Produktmanagements geschaffen. Zur Ermittlung der Positionen der Produkte auf beiden Achsen Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke wurden die in den Interviews erhobenen Bewertungen in einer Excel-Tabelle erfasst und der Durchschnitt der jeweils drei Kriterien pro Dimension berechnet.
Da kaum objektiv messbare Daten zur Verfügung standen, stützten sich die Einschätzungen auf die subjektiven Meinungen der befragten Experten. Die grosse Anzahl an Interviews beziehungsweise befragten Personen erwies sich trotz des grösseren Auswertungsaufwands als vorteilhaft: Es konnte darauf vertraut werden, dass die konsolidierte „Schwarmintelligenz“ der vielen Befragten in hinreichend belastbaren Bewertungen resultierte. Vergleicht man in der Detailauswertung die Resultate unterschiedlicher Befragter zu identischen Produkten, zeigt sich in der Grundtendenz eine hohe Übereinstimmung zwischen den Bewertungen.
Die konsolidierte Bewertung pro Produktfeld wurde aus den so ermittelten Durchschnittswerten der zugehörigen Produktgruppen ermittelt. Es handelte sich bei den Positionen der Produktfelder im Portfolio also um berechnete Werte und nicht – wie in der Praxis ebenfalls üblich – um gemessene Daten für das gesamte Produktfeld.
Nach der konsolidierten Bewertung der Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke der einzelnen Produkte und Produktgruppen erfolgte die Erstellung und Visualisierung des Produktportfolios. Die Positionierung der Produkte basierte dabei auf den Durchschnittswerten der zuvor ermittelten Kriterien.
Die Auswertung erfolgte auf verschiedenen Granularitätsstufen, jeweils beginnend mit einer Gesamtsicht über alle Produktfelder, gefolgt von einer Detailauswertung pro Produktfeld. Dies ermöglichte eine belastbare Interpretation der einzelnen Produktgruppen und Produkte. Es zeigte sich, dass das Produktportfolio von UB und ZB recht ausgewogen und differenziert ist. Viele Ressourcen sind im traditionellen Kerngeschäft gebunden (siehe Produktfeld 1 Informationsressourcen), während Zukunftsfelder tendenziell mit eher weniger Ressourcen ausgestattet sind (wie zum Beispiel Produktfeld 7 Forschungs- und Publikationsunterstützung). Insgesamt fiel bei der Analyse auch auf, dass die Produktfelder im Vergleich zu Konkurrenz- oder alternativen Produkten, aber auch zu möglichen Substitutionsprodukten, tendenziell recht positiv bewertet werden.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Produktportfolio-Analyse ist der Unterschied zwischen dem Ist- und dem Soll-Portfolio. Bis jetzt wurde allgemein vom Produktportfolio gesprochen, gemeint war damit aber immer implizit das IST-Produktportfolio. Es zeigt den aktuellen Stand der Produkte und Produktgruppen im Hinblick auf Marktattraktivität und relativen Wettbewerbsvorteil. Das Ist-Portfolio reflektiert die gegenwärtige Situation und dient als Ausgangspunkt für weitere Analysen.
Im Gegensatz dazu repräsentiert das Soll-Produktportfolio den angestrebten zukünftigen Zustand des Produktportfolios. Es basiert auf Prognosen und zeigt auf, welche Veränderungen notwendig sind, um eine optimale Balance und Ausrichtung zu erreichen. Das Soll-Produktportfolio dient als Zielbild und hilft, Massnahmen und Strategien zu entwickeln, um die Lücke zwischen dem aktuellen und dem gewünschten Zustand zu schliessen.
Durch den Vergleich von Ist- und Soll-Produktportfolio können Unternehmen gezielt Massnahmen ergreifen, um ihre Produkte zu optimieren und sicherzustellen, dass sie langfristig wettbewerbsfähig bleiben und den sich wandelnden Marktbedingungen sowie Kundenbedürfnissen gerecht werden. Dieser Vergleich ermöglicht es, Schwächen und Stärken im aktuellen Portfolio zu identifizieren und gezielt Strategien zu entwickeln, um die Marktposition zu stärken und zukünftige Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
Obwohl UB und ZB das IST-Produktportfolio während einer ablaufenden Strategieperiode erstellten, nutzten sie nicht gezielt das SOLL-Produktportfolio um eine neue, nun gemeinsame, Strategie zu entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt besteht lediglich eine Vision eines möglichen SOLL-Portfolios (siehe Abbildung 5). Trotzdem erwiesen sich die Produktstruktur und das IST-Produktportfolio als wichtige Grundlage für die gemeinsame Strategiearbeit. Zum einen wurden im IST-Portfolio vielversprechende zukünftige Produktfelder sichtbar (rechts oben platzierte Punkte): zum Beispiel das Produktfeld 7 Forschungs- und Publikationsunterstützung sowie Produktfeld 3 Vertiefte Beratung und Vermittlung. Beiden Bereichen wird in der neuen UB- und ZB-Strategie grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Daneben bewirkte die Ausarbeitung der Produktstruktur sowie des IST-Produktportfolios, dass die neue Strategie entlang der Produktgruppen umgesetzt werden wird. Dafür wurde speziell für jede Produktgruppe ein neues Gremium geschaffen, das sogenannte strategische Produktfeldmanagement, welches für die Umsetzung der strategischen Ziele im jeweiligen Produktfeld verantwortlich ist. Die gemischten Gremien bestehen aus Mitgliedern der Geschäftsleitung und Fachexpert*innen des jeweiligen Produktfelds. Für die nächste Strategieperiode ist bereits angedacht, diesen Change Prozess weiter voranzutreiben, und gezielter mit einem dezidierten SOLL-Portfolio zu arbeiten. So könnten sich die Vorteile der Produktportfolio-Analyse und -Arbeit voll entfalten.
Durch die Anwendung der Produktportfolio-Methode konnten UB und ZB eine systematische Sicht auf ihre angebotenen Produkte gewinnen. Die Ergebnisse der Analyse lieferten wertvolle Hinweise darauf, wie die Ausrichtung auf Produkte die Orientierung an Kundenbedürfnissen verbessern kann. Mit Hilfe der Produktportfolioperspektive konnte nicht nur die interne Kohärenz und Verantwortlichkeit verbessert, sondern mit ihr auch die Marktpositionierung und Wettbewerbsfähigkeit beider Bibliotheken fundiert diskutiert werden. Die Analyse verdeutlichte auch, dass eine klare Zielgruppenansprache und die Entwicklung spezifischer Produkte für diese Gruppen entscheidend sind, um die Bedürfnisse der Kunden besser zu erfüllen und sich im Wettbewerbsumfeld, in dem sich Bibliotheken bewegen, weiterhin erfolgreich zu behaupten. Die Portfoliomethode erwies sich schliesslich auch als wertvolles Instrument, um Diskussionen über die Re-Allokation von Ressourcen zu versachlichen.
Neben diesen Vorteilen traten auch mehrere Herausforderungen zu Tage. So war zwar die erarbeitete Produktstruktur grundsätzlich überzeugend, jedoch zeigte sich bereits in der Erarbeitung, dass in einigen Produktfeldern und -gruppen Verfeinerungen sowie Anpassungen notwendig bleiben werden. Zweitens war zwar die hohe Fachkompetenz der Mitarbeitenden deutlich spürbar, jedoch bestand die Tendenz, sich in Details zu verlieren. Der übergeordnete Blick auf das grosse Ganze und die sich bietenden Chancen drohte dabei oft verloren zu gehen. Die Inside-out-Optik, stark geprägt von den eigenen Kompetenzen und Erfahrungen, erschwerte oft ein Denken aus der Kundenperspektive und nach Kundenbedürfnissen. Drittens war eine zentrale Erkenntnis, dass Produkte nicht immer eindeutig nur einer Abteilung zugeordnet werden können. Das Wissen über die Produkte ist auf viele Köpfe verteilt, was in der Praxis bedeutet, dass sich die Zuständigkeiten oft nur auf bestimmte Teilaspekte der Produkte beschränken. Dies erschwerte in der Arbeit mit dem Portfolio nicht nur eine kohärente Produktsicht, sondern machte auch die Interviews herausfordernd, da es auf strategischer Ebene an klaren Verantwortlichkeiten für einzelne Produktfelder und Produktgruppen fehlte. Viertens bestand in den Interviews manchmal Unklarheit darüber, welche Zielgruppen mit den jeweiligen Produkten konkret angesprochen werden sollen und welche spezifischen Bedürfnisse diese Produkte erfüllen. Diese Unsicherheiten erschwerten die gezielte Kommunikation über die Positionierung der Produkte am Markt. Zudem bestand Unklarheit über die Marktabgrenzung und das relevante Wettbewerbsumfeld. Vielen der Interviewten war unklar, wer die wirklichen Wettbewerber sind, und welche Substitutionen drohen. Fünftens fehlte es an objektiv belegbaren und messbaren Führungs- und Steuerungskennzahlen für die Produkte. Wie oben bereits erwähnt sind Kennzahlen für eine fundierte Bewertung der Produktperformance und eine effektive Steuerung und Optimierung des Produktportfolios unerlässlich.
Trotz dieser nicht einfachen Ausgangslage erwies sich die Erarbeitung des Produktportfolios für die UB und die ZB als wichtiger erster Schritt, um aus Produkt- und Kundensicht zu denken, und gemeinsam strategisch zu agieren. Der mit der Portfolio-Analyse geschärfte produktorientierte Blick führte die Institutionen weg von einer Innensicht mit Optimierungen von (Teil-)Prozessen hin zu einem Gesamtblick über die gemeinsame Entwicklung beider Bibliotheken. Aus dieser Erfahrung zeigte sich, dass eine systematische Analyse des Angebotsportfolios für Bibliotheken nicht nur wünschenswert, sondern eigentlich unabdingbar ist. Mit einer solchen Analyse können Bibliotheken sicherstellen, dass sie ihre Ressourcen optimal nutzen und sich strategisch so ausrichten, dass sie auch in Zukunft relevant und wettbewerbsfähig bleiben.