Die fortschreitende Digitalisierung stellt eine Bedrohung für Kunstbibliotheken dar. Der Autor hebt das Thema des Reproduktionsrechts hervor, das diese Entwicklung noch bremst. Längerfristig muss sich die Bibliothek aber als Treffpunkt eines interessierten Fachpublikums etablieren.
The Anthropothèque
The rapid pace of digitisation poses a threat to art libraries. The author emphasises the issue of reproduction rights, which continues to slow the digitisation process. In the longer term, however, libraries must redefine themselves as a meeting place for interested specialists.
Echte Kunstbibliotheken gibt es mehr als man denkt. Zwar fallen auch Fachleuten erst einmal nur die großen Spezialbibliotheken ein, von denen es etwa in Deutschland ein gutes halbes Dutzend gibt, bis vor kurzem kamen hier die beiden Sondersammelgebietsbibliotheken in Heidelberg und Dresden hinzu, die inzwischen durch sogenannte Fachinformationsdienste (FIDs) ersetzt sind. Aber darüber hinaus haben natürlich auch viele (Kunst)-Museen ihre eigenen (Kunst)-Bibliotheken (die zum Teil identisch sind mit den eben genannten) und ein großer Bestand an kunsthistorischer Literatur findet sich in Universitätsinstituten. Nur um einmal die Größenordnungen anzudeuten: Das germanische Nationalmuseum in Nürnberg verfügt über bald 700’000 Bände, das Zentralinstitut für Kunstgeschichte über mehr als 700’000, und ein Institut wie das der Universität Bonn kann immerhin 150’000 Bände vorweisen.
Wie das allgemeine Bibliothekswesen ist die Kunstbibliothek geradezu existenziell von der Digitalisierung betroffen. Ich sage bewusst: existenziell. Denn wer würde seine Hand dafür ins Feuer legen, dass es die Bibliothek in, sagen wir einmal, 40 Jahren noch geben wird? Eine einfache Stichprobe ergibt, dass schon jetzt locker ein Viertel bis zur Hälfte der Aufsätze etwa in der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) online vorliegt, wohlgemerkt aller Aufsätze, also auch aus der Zeit, als von Digitalisierung noch keine Rede war.
Dabei ist in den letzten beiden Jahrzehnten diese Veröffentlichungsform bei Aufsätzen fast schon zum Standard geworden. Online – so viel in Parenthese – ist nicht gleich open access, vieles von dem Angebotenen ist nur den eingeschriebenen Nutzenden der BSB zugänglich. Der Trend wird sich fortsetzen. Irgendwann ist die auf Papier gedruckte Form Geschichte, und wenn man denn sich partout nicht auf den Bildschirm als Rezeptionsmedium einlassen will, dann kann man sich so eine Datei ja auch ausdrucken. Schon jetzt gibt es Drucker, die diesen Ausdruck auch noch binden, so dass man ein ganz normales Buch in Händen hält. Aber eben eventuell auch zuhause, und nicht in der Bibliothek.
In der Kunstbibliothek stellt sich die Sachlage allerdings in nicht ganz so entschiedener Form dar wie in der Allgemeinbibliothek. Erstens spielt die Monographie in diesem Fach noch eine vergleichsweise große Rolle, und bei den Monographien ist der Digitalisierungstrend noch nicht so weit fortgeschritten wie bei den Zeitschriften. Und zweitens hat man es in diesem Fach mit Gegenständen zu tun, deren Publikation nicht im ausschließlichen Herrschaftsbereich des Autors und der Autorin liegen. Nämlich mit Kunstwerken, deren Reproduktion in der Publikation für eine vernünftige wissenschaftliche Argumentation unverzichtbar ist.
Damit bin ich bei einem leidigen Thema angelangt. Kunstwerke werden üblicherweise in Museen aufbewahrt, und Museen leiden noch mehr unter Finanzknappheit als andere öffentliche Institutionen. Deswegen versuchen sie zuweilen auf Teufel komm raus überall dort Geld zu erwirtschaften, wo ihnen das zu winken scheint. Dazu gehören die Reproduktionsgebühren für Kunstwerke in ihrem Besitz, die sie vor allem dann in ungeahnte Höhen treiben, wenn es sich um eine digitale bzw. online-Publikation handelt. Dabei übersehen sie gerne zweierlei. Erstens die Tatsache, dass die Verwaltung dieser Gebühren meist mehr kostet, als der Verdienst ergibt, der durch ihn zu erzielen ist. Zweitens eine inzwischen in der EU geltende Regelung, dass es bei Werken von Künstler*innen, die länger als 70 Jahre tot sind, keinerlei Vorwände gibt, diese aus der Gemeinfreiheit wieder zurück in eine nach den Regeln von Urheber- oder Nutzungsrechten gestalteten Ordnung zu führen. Zwar gibt es selbstverständlich die Möglichkeit, die technische Reproduktion des Werkes in Rechnung zu stellen, aber nicht diejenige, sie mit Nutzungsgebühren zu belegen. Nur zwei Einschränkungen sind hier zu beachten: Bei dreidimensionalen Vorlagen ist die Sache nicht so eindeutig, soll aber hier nicht weiter diskutiert werden, weil das nicht das eigentliche Thema des Beitrages ist. Und natürlich bei moderner Kunst müssen Urheberrechte berücksichtigt werden, weil in dem Fall der Kunstschaffende normalerweise noch keine 70 Jahre tot ist, also etwa bei Entstehung der Werke seit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts. Ansonsten aber gilt: Es gibt keinerlei Einschränkungen des Reproduktionsrechtes, auch nicht mit Blick auf eine Veröffentlichung im Internet. Und selbst bei moderner Kunst gilt im Urheberrechtsgesetz die Einschränkung, dass es für die Wissenschaft ein Zitatrecht gibt, dass also auch bei Werken von Künstler*innen, die noch nicht so lange tot sind oder noch leben, die Möglichkeit von Reproduktionen gegeben ist, wenn diese für die Argumentationsführung wesentlich sind. Im anderen Fall, so könnte man hinzufügen, muss das Werk ja auch tatsächlich nicht abgebildet werden.
Aber wie dem auch sei: Kunstgeschichtsautor*innen neigen dazu, die Drohungen der angeblichen Rechteinhaber ernst zu nehmen und schrecken vor in ihren Augen illegalen Publikationsaktivitäten zurück. Das ist auch insofern problematisch, als ein nicht realisiertes Recht auf Dauer dazu führt, dass dieses wieder eingeschränkt wird. In der Konsequenz aber heißt dies, dass die Kunstbibliothek hinter dem allgemeinen Trend hinterherhinkt und deutlich weniger in digitaler bzw. online Form beinhaltet, dass also das Meiste noch als gedrucktes Buch oder als gedruckte Zeitschrift vorliegt. Ob das die anfänglich geäußerte Vermutung relativiert, in 40 Jahren würde es vielleicht gar keine Bibliotheken mehr geben, wage ich allerdings zu bezweifeln. Auch nicht im Falle der Kunstbibliotheken.
Die Kunstbibliothek bewegt sich also weg vom Fokus auf die Bestände hin zu dem auf die Benutzer. Sie ist von vornherein fokussiert auf eine erweiterte Fachöffentlichkeit. Einerseits wird sie sicherlich der hoch interessierte Bürger frequentieren, aber in den kunsthistorischen Spezialbibliotheken tummeln sich doch meist eher Fachleute, Museumsangestellte, Professoren, Studierende, Kunsthändler. Wenn Fachkollegen mir erzählen, warum sie zum Beispiel in die international geschätzte Bibliothek des Zentralinstitutes für Kunstgeschichte kommen – die allerdings nach meinem Eindruck weniger stark frequentiert wird als noch vor 20 Jahren – so meist mit dem Hinweis, dass sie dort nicht nur auf viele Bücher, sondern auch auf andere Fachkollegen treffen. Dabei scheinen die Zufallstreffen besonders interessant, und gerade aus diesen ergeben sich offenbar auch immer wieder gemeinsame wissenschaftliche Unternehmungen.
Ob diese „weichen Faktoren“ auf die Dauer ausreichen werden, die Institution zu erhalten? Ich weiß es nicht. Im Fall des erwähnten Zentralinstituts ist die Lage vielleicht noch weniger prekär, weil es neben der Bibliothek auch eine ziemlich umfangreiche Forschungsabteilung beinhaltet. Ähnliches gilt für all die Museumsbibliotheken, die ja eine klare Servicefunktion haben. Insgesamt aber kann man den Entscheidungsträgern nur empfehlen, den Aspekt der Anthropo- gegenüber dem der Biblio-thek im Auge zu behalten. Es könnte überlebenswichtig sein.